Vielleicht hätte ich doch Zahnarzt werden sollen. Zugegeben – nicht gerade mein Traumberuf, aber in Zeiten digitalen Wandels eine sichere Bank. Analysten der ING DiBa[1] schätzen, dass lediglich 1% der Human- und Zahnmediziner in den nächsten Jahren ihren Job verlieren werden – an digitale Systeme und Roboter, die ihre Arbeit besser, schneller und kostengünstiger erledigen.
Deutlich düsterer sieht es bei vielen anderen Berufsgruppen aus. Vom Lastwagenfahrer bis zur Bürokraft reicht das Spektrum aussterbender Berufe. Rund 59% der Arbeitsplätze insgesamt seien in Deutschland gefährdet – so das Fazit von Carsten Brzeski und Inga Burk, die eine renommierte Studie von Carl Benedikt Frey und Michael Osborne (2013) zur Wahrscheinlichkeit der Robotisierung des amerikanischen Arbeitsmarktes auf Deutschland übertragen haben.
Fast wöchentlich lesen wir von Digitaler Transformation, von beeindruckenden Fortschritten in Robotik und künstlicher Intelligenz und vom Anpassungsdruck den der digitale Wandel uns Menschen abverlangt. Werden wir alle wegrationalisiert – bangend, ob das bedingungslose Grundeinkommen rechtzeitig kommt? Oder entstehen im Zuge dieses Wandels neue Formen der Arbeit, die die alten ersetzen?
… ist mehr als alte Arbeit mit Internetanschluss.“ Titelt treffsicher die brandeins in ihrer Märzausgabe[2]. Dass uns große Veränderungen der Arbeitswelt in den nächsten 5 bis 10 Jahren bevorstehen, bezweifelt darin kaum jemand. Und doch scheint es erhebliche Unsicherheiten darüber zu geben, welchen konkreten Effekt leistungsfähigere Computer auf menschliche Arbeit haben werden. Gegen unmittelbare Panik sprechen Prognosen, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)[3] veröffentlicht hat. 2017 werden mehr Menschen in Deutschland einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen, als jemals zuvor.
Eine gute Ausgangslage, um sich von Angstmache und Glaskugel Guckerei zu lösen. Fest steht offenbar: Der digitale Wandel kommt, und es wird nicht Jahrzehnte dauern, bis er die Art wie wir arbeiten und leben fundamental verändert. Zeit also für die individuelle Positionsbestimmung – als Mensch, als Arbeitnehmer, als Unternehmen. Was haben diese Veränderungen mit uns zu tun? Was ist heute schon möglich in Sachen Digitalisierung und wie könnten nächste Schritte in diese Richtung aussehen?
Ist eigentlich klar, worum es dabei geht? Eher nicht, denken wir, denn bei all den Buzzwords die rund um Digitalisierung kursieren könnte es durchaus sein, dass wir alle von etwas anderem reden. Bevor wir also konkrete Beispiele diskutieren, möchten wir ein wenig Licht in das Begriffswirrwarr bringen – aus unserer eigenen, subjektiven Perspektive.
Digitalisierung im Arbeitskontext konzentriert sich unserer Meinung nach auf zwei Ebenen. Neben dinglichen Sachgütern und Dienstleistungen haben wir es vermehrt mit digitalen Gütern zu tun, die es vor Einführung des Computers schlichtweg nicht gab. Gemeint sind Medienprodukte wie Musik, Software, Telekommunikationsdienste aber auch Dienstleistungen elektronischer Marktplätze. Hype-Unternehmen wie Google, Uber oder Airbnb sind mit solch immateriellen Gütern groß geworden. Ihr Charme liegt in der fast grenzenlosen Kopierbarkeit, nachdem sie einmal initial hergestellt (programmiert) worden sind.
Für ein Unternehmen wie Kärcher, das sich auf die Produktion von Reinigungsgeräten spezialisiert hat, dürfte das zunächst keine hilfreiche Information sein[4]. Schließlich kann man aus der Scheuersaugmaschine Typ B40 nicht von heute auf morgen ein digitales Produkt machen – oder doch? Man kann – wenn man sein bestehendes Produkt „digital verlängert“. Im Falle der Reinigungsmaschine gelingt dies mit Sensoren, die nicht nur Störungen signalisieren sondern auch wann, wo und wie lange das Gerät im Einsatz ist. Zusätzlich zur Ware bietet Kärcher also Dienstleistungen an, die erst durch die fortschreitende Digitalisierung möglich geworden sind.
Auch in die andere Richtung lassen sich bislang analoge Leistungen digital verlängern. Wer den Frisörbesuch einige Tage im Voraus online bucht, hat zwar noch keine neue Frisur, erlebt diesen Service aber bereits als Teil der erbrachten Leistung. Bei der Digitalen Transformation geht es darum neue, digitale Produkte zu kreieren oder bestehende Produkte mit digitalen Aspekten anzureichern, um so zusätzliche Kaufanreize zu schaffen.
Die zweite Ebene, auf der Digitalisierung den Arbeitskontext beeinflusst, ist die Produktion. Die Frage lautet hier: Wie stark digital unterstützt ist der Herstellungsprozess der Sachgüter, Dienstleistungen und digitalen Güter? Rein digitale Produkte wie Googles Suchmaschine oder die Buchungsplattform Airbnb entstehen in überwiegend digitalen Herstellungsprozessen. Das erscheint logisch – stimmt aber nur zum Teil. Denn was Google, Uber und Airbnb eint ist ihr Hunger nach Softwareentwicklern, die die Algorithmen schreiben, aus denen letztlich digitale Produkte und Plattformen entstehen. Es verwundert nicht, dass Berufe der Informationstechnologie als zukunftssicher gelten – wie auch die bereits zitierte Studie von Brzeski und Burk bestätigt. Aber gute Entwickler sind Mangelware – und sie sind teuer. Der nächste logische Schritt sind daher Softwareprogramme, die selbst neue Software entwickeln. Derartige Ansätze gibt es bereits und man kann davon ausgehen, dass ihre Leistungsfähigkeit in den nächsten Jahren deutlich zunehmen wird[5].
Blickt man von der Produktion digitaler zur Herstellung materieller Güter, sind mit der Digitalisierung fast immer auch Roboter gemeint. Schlagzeilen machte 2016 der Taiwanesische Konzern Foxconn, der Elektronik- und Computerteile für Apple, Samsung und andere Unternehmen in seinen chinesischen Fabriken fertigen lässt. Meldungen zufolge hatte der Konzern allein in seiner Fabrik in Kushan 60.000 von 110.000 Arbeitern entlassen, um sie durch Roboter zu ersetzen[6]. Ein dingliches Produkt – wie zum Beispiel ein Smartphone – wird also von Maschinen hergestellt, die wiederum von Software gesteuert werden.
Die Digitalisierung der Fertigung kann aber auch anders aussehen, wie die Produktion der bereits erwähnten Scheuersaugmaschine B40 bei Kärcher beweist. Beim badischen Traditionsunternehmen bauen Menschen die Maschine zusammen – allerdings auf einer neuen, vollkommen vernetzten Fertigungslinie. Digitalisierung hat hier bislang nur den Job des Kommissionierers überflüssig gemacht, der früher alle erforderlichen Teile für jede individuell bestellte Scheuersaugmaschine zusammenstellte. Heute weiß das Produkt selbst, welche Funktionen es später haben soll und teilt dieses Wissen über Chips und Sensoren seiner Umwelt mit. An den Montageplätzen blinken die Materialfächer auf, aus denen Teile für genau diese Variante der Reinigungsmaschine entnommen und verbaut werden müssen.
Die komplette Umstellung auf Roboterproduktion hätte sich für die hochindividuellen Scheuersaugmaschinen im Geschäftskundenbereich nicht gerechnet – so Kärcher. Lediglich bei den Endverbraucherprodukten kommen Fertigungsroboter zum Einsatz.
Digitale Transformation ist also kein Selbstzweck und nicht jedes Produkt und jede Dienstleistung eignet sich dafür gleichermaßen. Es lohnt sich genauer hinzuschauen und Fragen zu beantworten, die schon vor der Digitalen Revolution ihre Gültigkeit hatten:
Was wollen Menschen kaufen, und wofür sind sie bereit, Geld auszugeben?
Augenscheinlich geht es hier um das Produkt und um den Service, der mit dem Produkt verbunden ist. Wir sind anspruchsvoller geworden – haben uns daran gewöhnt immer und überall vergleichen, buchen und kaufen zu können. Für die allermeisten Waren und Dienstleistungen – im Consumer- wie im Geschäftskundenbereich – sind „digitale Verlängerungen“ daher heute essentiell. Selbst wer handgemachte Torten verkauft, wird sie auf Facebook oder im eigenen Onlineshop präsentieren, wenn der Weg zum Kunden nicht über traditionelle Handelswege führt. Produkte ohne digitale Spuren gibt es fast nicht mehr.
Ob es sich lohnt auch die Produktion zu digitalisieren, ist eine andere Frage. Und die hängt eng mit dem Produktversprechen zusammen. Um die Losgröße 1 profitabel zu produzieren, ist Digitalisierung unumgänglich. War in der klassischen Fabrik für die kosteneffiziente Massenproduktion noch entscheidend, dasselbe Ding möglichst häufig vom Band laufen zu lassen, gilt diese Regel in der digital optimierten Fabrik nicht mehr. Mass Customization bedeutet, jedes Stück individuell und doch industriell fertigen zu können.
Also ist es nur eine Frage der Zeit, bis Algorithmen und Roboter überall leistungsfähig und billig genug sind, um die Produktion vollständig zu übernehmen? Vielleicht – einiges spricht dafür. Wenn künstliche Intelligenz von Google heute schon die besten Go Spieler der Welt schlägt[7] und IBMs Watson Computer in Japan medizinische Berichte von Ärzten liest, um die Auszahlung von Versicherungsleistungen zu berechnen[8], fühlt man sich an das dritte Clarkesche Gesetz[9] erinnert. Der britische Physiker und Science-Fiction-Autor war der Meinung: „Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“
Doch trotz oder wegen all der Digitalisierung sind auch Gegenströmungen vorstellbar. Vielleicht legen wir bald besonderen Wert auf Waren die von Menschen und nicht von Maschinen gefertigt wurden. Was, wenn uns dieser „Nachteil“ etwas wert ist – wenn wir bereit sind, für das Label „made by real Humans“ ein paar Cent mehr zu zahlen?
Obwohl automatisiert wird was das Zeug hält, spricht einiges für die Koexistenz von Mensch und Maschine am Arbeitsplatz. Doch diese Arbeitsplätze müssen neu gedacht werden, damit wir das tun können, was wir als Menschen besonders gut können. Kontexte erkennen, Sinn zuschreiben, verstehen. Dabei sollte uns die Maschine optimal unterstützen und uns Dinge abnehmen, die sie besser kann als wir.
Genau diese Hybridwelt der Service-Prozesse interessiert und besonders. Sie machen das Erstellen der Waren und Dienstleistungen überhaupt erst möglich. Wenn wir Produktentwicklung, Verwaltung, Personalwesen oder den Einkauf in Unternehmen analysieren, stellen wir fest, dass diese Bereiche trotzt fortschreitender Digitalisierung noch erstaunlich un-digital organisiert sind. Natürlich sind wir umgeben von digitalen Werkzeugen. Im Kern aber ersetzt der PC noch immer die Schreibmaschine und E-Mail die Hauspost. An den Prozessen selbst hat sich meist nicht viel geändert.
Wir vermuten, dass Vollautomation für viele Service-Prozesse nicht das Allheilmittel sein wird. Oft sind sie (noch?) zu variantenreich. Trotzdem muss ein Wandel erfolgen vom traditionellen Arbeiten mit digitalen Werkzeugen hin zu echten digitalen Prozessen. Der Mensch wird hier nicht länger als flexible Schnittstelle benötigt, der Medienbrüche zwischen IT-Systemen per Copy-and-Paste kaschiert sondern als mündiger und flexibler Wissensarbeiter, der für seine Aufgaben die erforderlichen Informationen zum richtigen Zeitpunkt im richtigen Kontext erhält.
Wir beschäftigen uns damit, wie diese neuen Arbeitsplätze aussehen, welche digitalen Werkzeuge eingesetzt werden und wie Menschen heute in und mit digitalisierten Prozessen arbeiten.
[1] Brzeski, C./Burk, I.: “Die Roboter kommen“, unter: https://www.ing-diba.de/pdf/ueber-uns/presse/publikationen/ing-diba-economic-research-die-roboter-kommen.pdf (abgerufen am 05.04.17)
[2] brandeins, Heft 03 (2017)
[3] „So viele reguläre Jobs gab’s noch nie“, unter: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/arbeitsmarktprognose-2017-so-viele-regulaere-jobs-gab-es-noch-nie-a-1140311.html (abgerufen am 05.04.17)
[4] Koch, C.: „Maßschneiderei in der Fabrik“, in: brandeins Heft 03 (2017), S. 58-63
[5] „KI-Software von Google lernt KI-Software zu schreiben“, in: http://t3n.de/news/ki-ai-software-787665/ (abgerufen am 05.04.2017)
[6] „Rise oft he robots“, in: South China Morning Post Online unter: http://www.scmp.com/news/china/economy/article/1949918/rise-robots-60000-workers-culled-just-one-factory-chinas (abgerufen am 05.04.2017)
[7] „Meilenstein – Computer schlägt Champion im Spiel Go“, unter: https://www.welt.de/wissenschaft/article151569809/Meilenstein-Computer-schlaegt-Champion-im-Spiel-Go.html (abgerufen am 05.05.2017)
[8] Welter, P.: „Versicherer ersetzt zahlreiche Mitarbeiter durch künstliche Intelligenz“ in FAZ Online unter: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/japan-versicherer-ersetzt-mitarbeiter-durch-ki-ibm-watson-14605854.html (abgerufen am 05.05.2017)